Das aktuelle Interview - Ein langer Weg

Was bringt die anstehende Überarbeitung des europäischen Tierarzneimittelrechts?

Im Herbst hat die EU-Kommission die Vorschläge zur Überarbeitung des europäischen Tierarzneimittelrechts vorgelegt. Der Blickpunkt sprach mit Dr. Claudia Sigge, Technisch-Wissenschaftliche Leiterin, und Dr. Sabine Schüller, Geschäftsführerin des Bundesverbandes für Tiergesundheit (BfT), über die Position der Tiergesundheitsindustrie und über die Auswirkungen für die Praxis.

Blickpunkt: Welche Ziele verfolgt die Kommission mit der Überarbeitung des Tierarzneimittelrechts?

Dr. Schüller: Mit den neuen Regelungen will die Kommission die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln verbessern, den administrativen Aufwand verringern, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovation des Sektors fördern und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern. Die Rechtsvorgaben sollen dabei stärker auf die Bedürfnisse des Veterinärsektors zugeschnitten werden. Diese Ziele werden von der Industrie in vollem Umfang unterstützt.

Blickpunkt: Wie bewerten Sie die neuen Regelungen? Rückt die Tiergesundheitsindustrie damit ihrem großen Ziel eines europäischen Binnenmarktes näher?

Dr. Schüller: Die Entkopplung der Vorschriften für Human- und Tierarzneimittel ist wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen ein richtiger Schritt. Positiv sind zudem die Vorschläge zur Verringerung des administrativen Aufwands, z. B. bei der Bearbeitung von Änderungsanzeigen, in der Pharmakovigilanz und die Vereinfachungen der Packmittel.

Dr. Sigge: Die Etablierung eines EU-weiten Binnenmarktes wird mit der Änderung leider nicht erreicht. Die Öffnung des zentralen Zulassungsverfahrens für alle Produkte betrifft nur Neuanträge. Der Großteil der Produkte bleibt somit ausgeschlossen, der administrative Aufwand für die Erhaltung der alten Produkte hoch.  

Blickpunkt: Werden sich die neuen Regelungen auf die Produktentwicklung auswirken und sehen Sie noch Nachbesserungsbedarf?

Dr. Sigge: Die vorgesehene Verlängerung des Unterlagenschutzes für zusätzliche Zulassungen für weniger bedeutende Tierarten (minor species) bringt einige Verbesserungen. Diese sind aber für einen deutlichen Innovationsschub nicht ausreichend. Auch wenn ein Tierarzneimittel für weitere wichtige Tierarten (major species) zugelassen wird, bedeutet dies einen erheblichen ergänzenden Aufwand und zusätzliche Studien. Entsprechend sollte auch hier pro weiterer Tierart ein mehrjähriger zusätzlicher Unterlagenschutz vorgesehen werden. Gleiches gilt auch für die Entwicklung einer neuen Applikationsform oder Formulierung, die – anders als im Humanbereich – durch die vielfältigen Verabreichungswege ein signifikantes Investment bedeuten kann. Notwendig ist darüber hinaus ein Schutz von Unterlagen, wenn größere Studien zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich werden.

Dr. Schüller: Auch das vorgesehene Verfahren zur Harmonisierung von Produkten hat erhebliche Mängel. Dokumentationsnachforderungen können zu einem Verlust von Produkten führen. So wie derzeit angelegt, käme es zu einer klassenübergreifenden Vereinheitlichung der Produktspezifikationen; dies sollte nur in besonderen Fällen bei zwingendem Grund erfolgen. 

Blickpunkt: Der Verordnungsentwurf sieht vor dem Hintergrund der Antibiotikaresistenz-Problematik umfangreiche Regelungen zu Antibiotika in der Tiermedizin vor. Wie beurteilen Sie diese Regelungen?

Dr. Schüller: Die Tierarzneimittelindustrie ist sich des Risikos der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen bei Mensch und Tier bewusst und setzt sich aktiv für den verantwortlichen Umgang mit Tierarzneimitteln zur Kontrolle dieses Risikos ein. Der nun formulierte humanmedizinische Vorbehalt würde zu einem vollständigen Erlahmen der Neuentwicklung von Antibiotika zur Anwendung am Tier führen. Eine weitere Forschung auch im veterinärmedizinischen Bereich ist aber essenziell. Maßnahmen zur Beschränkung der Verwendung von Antibiotika beim Tier sollten auf wissenschaftlichen Kriterien fußen und in den EU-Mitgliedstaaten abgestimmt sowie im Kontext der Zusammenarbeit mit Drittstaaten und internationalen Organisationen umgesetzt werden. Es ist positiv, dass geeignete Regeln zur Erhebung und zum Austausch von Daten über die Anwendung von Antibiotika EU-weit erstellt werden sollen. Diese müssen aber so formuliert sein, dass es möglich ist, die Transparenz auf Anwendungsniveau zu schaffen und den unsachgemäßen Gebrauch von Antibiotika zu kontrollieren.