Das aktuelle Interview
„Wir brauchen ein innovationsfreundliches Umfeld und verhältnismäßige Rechtsvorschriften“
Gesellschaftlichen Nutzen gesunder Tiere und Stellenwert von Tierarzneimitteln durch Novellierung der europäischen Gesetzgebung stützen
Die Novellierung der europäischen Tierarzneimittelgesetzgebung ist in einer entscheidenden Phase. Lange wurde von den Stakeholdern beraten, wie Tierarzneimittel besser verfügbar, der administrative Aufwand geringer, die Wettbewerbsfähigkeit verbessert und der europäische Binnenmarkt harmonisiert werden kann. Der Blickpunkt sprach mit der Geschäftsführerin des Bundesverbandes für Tiergesundheit e. V. (BfT), Dr. Sabine Schüller, darüber, ob sich die Tiergesundheitsindustrie in ausreichendem Umfang im Regelwerk wiederfindet.
Blickpunkt: Die europäischen Institutionen haben jetzt die Trilog-Verhandlungen aufgenommen. In dieser Phase werden die endgültigen Anforderungen der neuen EU-Verordnung festgelegt. Bis zu welchem Zeitpunkt war es noch möglich, sich in die Verhandlungen einzubringen?
Dr. Sabine Schüller: Der Entwurf ist nun in der Hand der am Trilog beteiligten Partner – Parlament, Rat und Kommission. Auch in dieser Phase stehen wir zur Verfügung, um noch offene Fragen zu diskutieren. AnimalhealthEurope und die nationalen Verbände haben sich im Vorfeld des Trilog-Prozesses an Abgeordnete und die Repräsentanten der Mitgliedstaaten in Brüssel gewandt, um wesentliche Aspekte aus Sicht der Industrie hervorzuheben. Im Mittelpunkt stehen die Förderung von Innovationen sowie wissenschaftsbasierte und verhältnismäßige Rechtsvorschriften. Gleichzeitig wird eine gute Verfügbarkeit eines breiten Spektrums an Tierarzneimitteln in der gesamten Europäischen Union angestrebt.
Darüber hinaus liegt es im Interesse der Industrie den bürokratischen Verwaltungsaufwand im Rahmen der Zulassung zu verringern. Auch das Ziel, die Gefahr von Antibiotika-Resistenzen zu minimieren, wird von der Industrie unterstützt. Ebenso halten wir die Entkoppelung der Vorschriften für Human- und Tierarzneimittel für einen richtigen Schritt. Einiges sehen wir also auf einem guten Weg, aber in einigen Bereichen sind noch deutliche Verbesserungen notwendig.
Blickpunkt: Wo gibt es noch Verbesserungsbedarf?
Dr. Sabine Schüller: Insgesamt sehen wir weiterhin Verbesserungsbedarf bei den Verfahrensabläufen rund um die Zulassung von Tierarzneimitteln, beim Schutz der technischen Dokumentation und bei der Pharmakovigilanz. Die künftige Gesetzgebung soll auch weiterhin auf einer Risiko-Nutzen-Analyse mit Bezug auf das jeweilige Produkt basieren und nicht auf einem reinen Gefährdungsansatz. Etwaige Einschränkungen bei der Verwendung von Antibiotika in der Tiermedizin sollen auf der Grundlage von europäischen wissenschaftlichen Empfehlungen, d. h. von der Europäischen Arzneimittelagentur und nicht der Weltgesundheitsorganisation WHO, fußen. Die antiparasitäre Resistenz kann nicht gleichgestellt werden mit Antibiotika-Resistenz. Dies sind einige Punkte.
Blickpunkt: Wird sich der Stellenwert von Tierarzneimitteln durch die Novellierung der Gesetzgebung verändern?
Dr. Sabine Schüller: Nein, auf keinen Fall. Tierarzneimittel für Nutz- und Hobbytiere haben einen hohen gesellschaftlichen Nutzen. Um aktuelle wie künftige Herausforderungen angehen zu können, benötigt die Tiergesundheitsindustrie jedoch ein innovationsfreundliches Umfeld, in dem sie forschen und entwickeln kann. Die Unternehmen investieren rund acht Prozent des Jahresumsatzes in Forschung und Entwicklung (F&E). In Europa muss allein ein Drittel des F&E Budgets investiert werden, um die Produkte auf dem Markt zu halten. Diese Ressourcen können dann nicht für neue Entwicklungen genutzt werden. Zudem dauert es zwischen fünf und elf Jahren, bevor ein Produkt Marktreife erlangt. Dieser hohe Kapital- und Zeitaufwand kann von den Firmen nur bei entsprechender Planungssicherheit getragen werden. Denn wer sich heute entscheidet, ein neues Produkt zu entwickeln, muss wissen, ob dieses in zehn Jahren überhaupt noch nachgefragt wird bzw. vermarktet werden darf. Neue, moderne Impfstoffe und weiterentwickelte Antibiotika sind notwendig, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen und auch die Gefahren von Resistenzbildungen zu minimieren.
Blickpunkt: Vor welchen neuen Herausforderungen steht die Tiergesundheitsindustrie heute und morgen?
Dr. Sabine Schüller: Auch künftig sind wissenschaftsbasierte und verhältnismäßige Rechtsvorschriften erforderlich, um Tierhaltern und Tierärzten die Instrumente zu liefern, die sie benötigen, um ihre Tiere gesund zu erhalten sowie deren Wohlergehen und die Lebensmittelversorgung zu sichern.
Darüber hinaus erleben wir eine abnehmende gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber innovativen Technologien. Diese „weichen“ Faktoren sind nur schwer einzuschätzen. Dies kann Einfluss nehmen auf die Planungen im Rahmen der Produktentwicklung. Auch sind regulatorische Anforderungen und gesellschaftliche Erwartungen nicht immer deckungsgleich. Leistungen, wie die bereits seit den 90er-Jahren durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfungen werden nicht immer gesehen und honoriert. Hier liegt für uns nach wie vor ein gutes Stück Aufklärungsarbeit, um die Anforderungen an Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit unserer Tierarzneimittel und deren gesellschaftlichen Nutzen zu verdeutlichen.
BU:
Dr. Sabine Schüller.
Geschäftsführerin des Bundesverbandes für Tiergesundheit e. V. (BfT).