30.05.2022

Hintergrundinformation: Extrem- und Qualzuchten stehen leider hoch im Kurs

Unter Haustieren versteht man Tierarten, die durch Domestikation aus Wildtierarten hervorgegangen sind und an menschliche Bedürfnisse angepasst wurden. Dabei sind auch immer körperliche Eigenschaften und das Aussehen der Tiere stark verändert worden. Die längste Geschichte als Haustier hat der Hund, dessen Domestikation bereits vor rund 17.000 Jahren begonnen hat, bei Katzen dürfte dies vor rund 10.000 Jahren seinen Anfang genommen haben. Viele Haustiere haben im Laufe der Jahrtausende ihre Fähigkeit zum selbstständigen Überleben verloren.

Standen zunächst noch „handfeste“ Eigenschaften bei der Züchtung im Vordergrund – so wurden Hunde als Wach-, Jagd- oder Hütehunde geschätzt – unterliegen Haustiere wie Hund, Katze, Kaninchen, aber auch Vögel und Fische, heutzutage anderen Auswahlkriterien und sind auch Modeströmungen unterworfen. Ein gutes Beispiel etwa ist der Dalmatiner, der nach dem Erscheinen des Walt Disney-Films „101 Dalmatiner“ zum Modehund avancierte.

Andere Modehunde der Neuzeit, wie der Mops oder die Französische Bulldogge, gelten aufgrund extremer Körpermerkmale sogar als Qualzuchten. Auch einige Rassekatzen fallen in diese Kategorie, als Beispiele seien die Scottish Fold, Perserkatzen oder die Munchkin (Dackelkatze) genannt.

Das Kindchenschema punktet

Qualzuchten oder Extremzuchten zeichnen sich durch bestimmte optische Trends aus, nach denen in der Zucht bewusst selektiert wird. Es sind dies beim Hund (und oft auch bei der Katze) ein gedrungener, quadratischer Körperbau, ein großer, runder Kopf mit verkürzter Nase und Gebiss, eine starke Ausprägung von Hautfalten und große, runde Augen. Vor allem wegen der Gesichts- und Augenform spricht man auch vom „Kindchenschema“. Die Folgen für das Tier sind fatal.

So gehen Extremzuchten mit schlechter Gesundheit und schlechter Lebensqualität der Tiere einher. Medizinische Behandlungen sind notwendig, bis hin zu schwerwiegenden chirurgischen Eingriffen, damit solche Tiere überhaupt einigermaßen beschwerdefrei leben können. Intensive Kreuzungen münden sogar in genetischen Störungen. Dem Tierhalter entstehen unerwartet hohe Tierarztkosten. Mit der komplizierten Pflege sind sie schnell überfordert. Insgesamt erfüllen beeinträchtigte Hunde oftmals nicht die Erwartungen, die ein Hundeliebhaber eigentlich an ein gesundes, agiles Familienmitglied stellt.

Wegen der starken Nachfrage derartiger Rassen nimmt die Zahl verantwortungsloser Züchter zu, die nur am kurzfristigen Gewinn nicht aber am Wohl der Tiere interessiert sind. Das belegt auch die steigende Zahl von Rassehunden aus dubiosen Quellen. Solche Tiere können sich wegen der nicht artgerechten Aufzucht schnell zu Problemhunden entwickeln. Davon können Tierheime berichten. Auch erhöht sich das Risiko, dass über die Tiere, die aus Billigzuchten im Ausland kommen, hierzulande seltene Krankheiten eingeführt werden. Behandlungen gestalten sich oftmals schwierig bis unmöglich, Leidtragende sind in erster Linie die Tiere.

Mit diesen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist zu rechnen

Extrem- und Qualzuchten neigen zu zahlreichen, sich oftmals ähnelnden Krankheiten. Die häufigste Form ist die Brachyzephalie (Kurzköpfigkeit). Unter diesem Begriff werden diejenigen Rassen und Hunde zusammengefasst, die einen sehr kurzen Nasenschädel haben und unter multiplen Missbildungen der Atemwege leiden. Hierzu gehören unter anderen die Englische und Französische Bulldogge, der Mops, der Shih Tzu, der Pekinese und noch viele mehr. Auch Mischlinge dieser Rassen können betroffen sein. Der runde und zu kurze Kopf und die zum Teil extreme Faltenbildung führen zudem zu vielfältigen weiteren Problemen.

Hunde können nicht schwitzen. Sie regulieren ihre Körpertemperatur via Hecheln über die Maulschleimhaut und Zunge respektive die großen Oberflächen der Nasenmuscheln. Der Wegfall dieser Oberflächen zwingt die kurznasigen Hunde zu verstärkter Atemarbeit, was sich in eingefallenen Nasenlöchern, verlängertem Gaumensegel, kollabierenden Atemwegen und anderen Veränderungen manifestiert. Diese Veränderungen führen auch zu einem deutlich erhöhten Narkoserisiko, bei gleichzeitig höherer Wahrscheinlichkeit von medizinisch nötigen Eingriffen aufgrund der verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Hunde schnarchen, schniefen, können der Hitze nicht widerstehen und verlieren an Leistungsfähigkeit. Mit zunehmenden Alter verstärken sich die Probleme. Die Augen sitzen oftmals in viel zu flachen Augenhöhlen und können sogar herausspringen. Das Gehirn kann sich aufgrund von Platzmangel nicht optimal entwickeln, was zu neuronalen Ausfällen führen kann. Fehlbildungen des Schädels können zudem zu Zahnproblemen und Hörproblemen führen. So weisen Französische Bulldoggen und Möpse eine Prädisposition für die Entwicklung einer Otitis externa und Otitis media auf. Dies ist schwierig zu therapieren, vor allem, da das Grundproblem nicht behoben werden kann.

Nicht zuletzt besitzen viele Extremzüchtungen zu wenig Körper für zu viel Haut. Starke Faltenbildung ist die – gewollte – Folge, die jedoch Hautentzündungen begünstigt. Auch die inneren Schleimhäute sind oftmals zu stark ausgebildet und engen beispielsweise den Magenausgang ein. Die Tiere leiden daher unter chronischem Erbrechen. Bei der französischen Bulldogge sind auch Magen-Darm- und Atemwegs-Probleme bekannt, die sich aufgrund des engen Zusammenhangs von Atmung und Schluckakt wechselseitig beeinflussen. Typisches Symptom ist ein chronischer Husten. Letztendlich kann die einseitige Zucht auch zu Immunabwehrstörungen führen. Diese Erkrankung war früher als „Boxer-Kolitis“ bekannt.   

Brachyzephale Rassen weisen im Vergleich zu anderen Rassen zudem deutlich mehr Geburtsprobleme auf. Laut Untersuchungen ist jede fünfte Geburt bei Französischen Bulldoggen und Boston Terriern problematisch, auch beim Mops und beim Chihuahua liegt die Rate noch deutlich höher als beim Durchschnitt. Zum Vergleich: Bei Mischlingen treten Geburtsprobleme bei lediglich 1,3% der Fälle auf. 

Sehr beliebt sind auch spezielle Fellfarben wie beispielsweise die Merle-Färbung oder der cremefarbene Dobermann-Pinscher. Dieser geht auf einen Gendefekt zurück. Die Mutation kann zu Sehstörungen oder Hautkrebs führen. Auch das Merle-Gen kann je nach Ausprägung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, weshalb die Verpaarung von Merkmalsträgern – und zum Teil auch die Verpaarung mit bestimmten anderen Farbschlägen – von einigen Zuchtorganisationen untersagt ist.

Zurück zum Ursprung

Nicht immer hatten Extremzüchtungen unter den Hunden und Katzen so kurze Schädel. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Nasen deutlich länger. Erst durch gezielte züchterische Anstrengungen hat sich das „Kindchenschema“ durchgesetzt. Aktuell ist wieder ein leichter rückläufiger Trend erkennbar. Züchter arbeiten wegen der gravierenden Gesundheitsprobleme an einer Rückkehr zum Ursprung der Rassen.

Die Definition und das Verbot von Qualzuchten sind im deutschen Tierschutzgesetz geregelt. Verboten ist danach die Zucht von Tieren, wenn zu erwarten ist, dass bei den Nachkommen aufgrund der erblich bedingten Merkmale Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten. Die Vorgaben werden jedoch nur unzureichend umgesetzt. Grundsätzlich sind alle domestizierten Tiere davon betroffen, besonders auffällig fallen die Extreme jedoch bei Hunden, Katzen und Kaninchen aus. Einige Rassen sind pauschal als Qualzuchten eingestuft, bei anderen fallen nur Tiere mit besonders ausgeprägten Merkmalen unter diese Definition.

Einen besonderen Fokus auf Extremzuchten bei Katzen wirft die Bundestierärztekammer mit einem Flyer, der sich an Katzenliebhaber wendet und wertvolle Hinweise für den Erwerb einer Katze liefert.

Bei Kaninchen werden von Fachseite ebenfalls kurzköpfige Rassen thematisiert. Diese Züchtung geht oftmals mit Zahnfehlstellungen einher. Daneben kann Zwergwuchs zum Problem werden, ebenso wie der Riesenwuchs. Beliebt sind auch Hängeohren, die die Kommunikation der Tiere untereinander und im Extremfall auch die Bewegungsfreiheit der Tiere einschränken können, sowie bestimmte Fellstrukturen und -färbungen. Einigen Rassen wurden die Tasthaare „weggezüchtet“ und damit ein wichtiges Sinnesorgan der Tiere.

Was können Tierfreunde tun?

Tierärzte, Tierschutzvereine und Fachzeitschriften informieren über das brisante Thema „Extremzuchten“. Man möchte eine Sensibilisierung erreichen und über diesen Weg die Nachfrage umlenken auf weniger beeinträchtigte und „natürlichere“ Tiere. Das ist mehr als notwendig, wie eine Studie aus Großbritannien zeigt. Die Vorliebe für brachyzephale Rassen scheint nämlich ungebrochen. 93% der befragten Besitzer einer Kurznase würden sich nämlich die gleiche Rasse noch einmal anschaffen, zwei Drittel würden sie auch anderen empfehlen. Nur sehr wenige der Besitzer äußerten Bedenken bezüglich möglicher Leiden. Ethische Zweifel mit Blick auf die Anschaffung kurznasiger Rassen existieren so gut wie nicht. Positive Charaktereigenschaften, die gute Eignung für eine Haltung im städtischen Umfeld mit wenig Auslauf und die gute Kompatibilität mit Kindern stehen scheinbar weit über dem Wohl der Tiere.

Weiterführende Informationen

Seit dem 1. Oktober 2021 gibt es das Qualzucht-Evidenz Netzwerk (QUEN), das dazu dient, zuchtbedingte Defekte bei Tieren bekannt und sichtbar zu machen. Dadurch soll der Vollzug des sogenannten Qualzuchtparagrafen (§ 11b Tierschutzgesetz) verbessert werden.

https://qualzucht-datenbank.eu/

Auch die Bundestierärztekammer und Landesvereinigungen beispielsweise die Landestierärztekammer Berlin stellen Informationen bereit.

https://www.bundestieraerztekammer.de/tieraerzte/qualzuchten/

https://www.tieraerztekammer-berlin.de/qualzucht

 

30. Mai 2022


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Weitere Informationen:
Bundesverband für Tiergesundheit e.V.
Dr. Sabine Schüller
E-Mail bft@bft-online.de

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